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Diskussion von Missverständnissen nodaler Preissysteme

Der voranschreitende Klimawandel und die politisch formulierten Emissionsziele erfordern eine weitgehende und rasche Dekarbonisierung unseres Stromsystems mit einem großflächigen Ausbau Erneuerbarer Energien. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, bedarf es eines geeigneten Strommarktdesigns, welches die Integration Erneuerbarer Energien in das Markt- und Stromsystem fördert und dringend benötigte Flexibilitätspotenziale (insbesondere auf der Nachfrageseite) nutzt.

In zwei SynErgie-Whitepapern zum zukünftigen Strommarktdesign 2030 – 2050 haben sich Wissenschaftler*innen führender Forschungsinstitute, u.a. DIW, ewi, Kernkompetenzzentrum Finanz- und Informationsmanagement und Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT, Technische Universität München und ZEW, für einen Übergang in ein Marktdesign mit regional differenzierten, knotenscharfen Strompreisen – ein sog. nodales Preissystem – in Deutschland ausgesprochen.

Der Übergang in ein solches Preissystem sollte dabei einstufig erfolgen, um eine häufige Anpassung von Zonengrenzen, verbunden mit politischen und planerischen Unsicherheiten, zu vermeiden. In den beiden SynErgie-Whitepapern legen die beteiligten Forschungsinstitute die Bedeutung eines nodalen Preissystems für das Gelingen der Energiewende in Deutschland dar (Whitepaper) und stellen konkrete Gestaltungsoptionen für den Übergang in ein solches Marktdesign vor (Whitepaper).

Auch wenn jedes Marktdesign (einschließlich der aktuellen deutschen Einheitspreiszone und des nodalen Preissystems) eigene Vor- und Nachteile besitzt, kann ein erfolgreich konzipiertes Marktdesign mit nodalen Preisen entscheidend zum Gelingen der Energiewende in Deutschland beitragen. Allerdings ist dabei erfolgsentscheidend, wie ein solches nodales Preissystem im europäischen Kontext im Detail ausgestaltet wird. Zu dieser Frage möchte SynErgie einen Beitrag leisten.

Allerdings gibt es in diesem Umfeld auch zahlreiche Missverständnisse und Fehleinschätzungen. Mit dieser Website möchten wir häufige Missverständnisse rund um nodale Preissysteme adressieren und damit zu einer sachlichen Diskussion über dieses wichtige Thema beitragen. Die nachfolgende Diskussion verbreiteter Missverständnisse basiert auf den Analysen der Autor*innen der oben genannten SynErgie Whitepaper sowie auf einem intensiven Austausch mit internationalen Expert*innen aus der energiewirtschaftlichen Wissenschaft und Praxis.

Einführung: zonale & nodale Preissysteme

Die genaue Ausgestaltung des Strommarktdesigns unterscheidet sich von Land zu Land, wobei in modernen, liberalisierten Märkten insbesondere zonale und nodale Preissysteme Anwendung finden. In Märkten mit einem zonalen Preissystem wird eine Vielzahl von Netzknoten zu größeren Preiszonen zusammengefasst. Der Zonenpreis ist dann für alle Knotenpunkte innerhalb einer Zone identisch. Liegt lediglich eine einzelne Preiszone vor, spricht man von einer Einheitspreiszone. Beispielsweise bilden Deutschland und Luxemburg eine gemeinsame Preiszone. Marktteilnehmer können innerhalb einer Zone unbegrenzt Strom handeln, unabhängig von den vorhandenen physikalischen Netzrestriktionen innerhalb der Zone. Daher verletzen Marktergebnisse oft physikalische Netzrestriktionen und lassen sich entsprechend nicht ohne Weiteres (d.h. ohne eine Gefährdung der Netz- und Systemstabilität) physikalisch realisieren. Aus diesem Grund sind häufig sehr teure Maßnahmen des Engpassmanagements (z.B. Redispatch oder Einspeisemanagement) notwendig, um ex-post an jedem Ort für einen Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage zu sorgen und Stabilität im Stromsystem zu jedem Zeitpunkt überall zu gewährleisten. Diese Kombination aus einem zonalen Preissystem und nachgelagertem Engpassmanagement findet insbesondere in Europa Anwendung. In Märkten mit einer nodalen Preisbildung werden hingegen für jeden Knotenpunkt im Netz separate Preise berechnet. Folglich spiegelt der Preis an jedem Netzknoten den Wert von Strom am entsprechenden Ort wider. Dies bedeutet auch, dass insbesondere Netzrestriktionen effektiv in die Berechnung des Marktgleichgewichts einfließen. Folglich steigen in Zeiten von Netzengpässen die Preise an Knoten mit einem Nachfrageüberhang (d.h. die Stromnachfrage ist lokal größer als das vorherrschende Stromangebot) und sinken hingegen an Knoten mit einem Nachfragedefizit (d.h. die Stromnachfrage ist lokal geringer als das vorherrschende Stromangebot). Liegen im gesamten Netz keine Engpässe vor, sind alle Knotenpreise identisch. Durch die Berücksichtigung von Netzrestriktionen stellt sich ein Marktgleichgewicht ein, welches physikalische Netzrestriktionen wahrt. Ein solches Preissystem findet beispielsweise auf den liberalisierten US-Märkten oder auch in Neuseeland seit vielen Jahren erfolgreich Anwendung.

Ein herzliches Dankeschön für die ausführliche und wertvolle Diskussion rund um ein zukünftiges Strommarktdesign 2030 – 2050 richtet sich insbesondere an unsere internationalen Expert*innen: Mette Helene Bjørndal, Endre Bjørndal, José Chaves-Ávila, Peter Cramton, Natalia Fabra, Raphael Heffron, Benjamin Hobbs, Richard O´Neill und Frank Wolak.

 

Häufige Missverständnisse nodaler Preissysteme

Ineffizienzen im aktuellen zonalen Preissystem stehen der Entwicklung eines nachhaltigen und langfristig stabilen Markt- und Stromsystems entgegen. So entstehen im aktuellen zonalen System hohe Kosten für das Engpassmanagement (z.B. Redispatch) und länderübergreifende Übertragungskapazitäten werden unzureichend genutzt. Ein mehrstufiger und iterativer Übergang von einer zu mehreren feingranularen Preiszonen würde zusätzlich für Instabilität (z.B. mit Blick auf Preisentwicklungen oder die Definition von Gebotszonen) sorgen, insbesondere auf Terminmärkten.

Fairness wird bisweilen mit bundesweit einheitlichen Preisen gleichgesetzt. Auch im aktuellen zonalen System gibt es aber häufig deutliche Preisunterschiede, z.B. unterschiedliche Strompreise aufgrund regional unterschiedlicher Netzentgelte. Zudem kommen auch Befreiungstatbestände für die energieintensive Industrie zur Sicherstellung internationaler Wettbewerbsfähigkeit (z.B. in Form individueller Netzentgelte) zum Einsatz, die zu weiterer Preisdifferenzierung führen, ebenso wie im Zeitablauf sehr volatile Preise.

Bisherige Erfahrungen, z.B. aus den USA und Neuseeland, zeigen, dass sich die Kosten der Implementierung eines nodalen Preissystems schnell amortisieren. Der geschätzte jährliche Nutzen übersteigt dabei die entsprechenden Kosten. Kostenabschätzungen sind aber derzeit nur mit Annahmen möglich.

Die Frage der Finanzierung von Erneuerbaren Energien mit Grenzkosten nahe null ist zunächst unabhängig vom jeweiligen Marktdesign. In einem nodalen Preissystem können Preisextreme (z.B. negative Strompreise) sogar dazu beitragen, lokalen Investitionen in dringend benötigte Flexibilitäten (z.B. Speicheranlagen) anzureizen, welche Preisunterschiede wiederum abschwächen.

In bestehenden nodalen Märkten werden Trading Hubs definiert, auf denen Marktteilnehmer längerfristige Produkte sehr liquide handeln. Dies entspricht der europäischen Erfahrung, dass Akteure in Nachbarländern den hiesigen EEX Preis nutzen, um liquide Produkte zu handeln. Zusätzlich werden in nodalen Märkten häufig Financial Transmission Rights vergeben, welche es erlauben, die Preisdifferenz zum Hub abzusichern. Financial Transmission Rights – in Kombination mit Trading Hubs – machen damit die Koexistenz vieler verschiedener Handelsprodukte überflüssig und erlauben eine effektive Absicherung gegen Preisrisiken im Markt. 

Die Frage nach der Einführung von Kapazitätsmärkten ist zunächst unabhängig vom jeweiligen Marktdesign. So gibt es weltweit zonale und nodale Märkte mit existierenden Kapazitätsmärkten, Märkte mit anderen Kapazitätsmechanismen wie Reserven (z.B. die strategische Reserve in Deutschland), und weitere Märkte, in welchen über die Einführung zusätzlicher Kapazitätsmärkte diskutiert wird.

Strommarktpreise steuern Investitionsentscheidungennicht alleine. Investitionsentscheidungen werden häufig von weiteren Einflussfaktoren, z.B. politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen und / oder Rohstoffpreisen, getrieben. Dennoch sind nodale Preissysteme insbesondere geeignet, den Ort von Energieinvestitionen (z.B. Erzeugungskapazitäten) entscheidend mitzubestimmen und Investitionen dort anzureizen, wo diese zu netz- und systemdienlichen Zwecken benötigt werden.

In Kalifornien haben Netzinvestitionen in den letzten Jahren stark zugenommen, insbesondere nach Einführung (aber nicht notwendigerweise aufgrund) des nodalen Preissystems. Hintergrund waren hier vor allem Ausbaumaßnahmen zum Zweck der Versorgungssicherheit und die politisch motivierte Erschließung von weiteren Wind- und Solarprojekten. ​Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in anderen Märkten mit nodalen Preissystemen beobachten. Insgesamt ist der Netzausbau vor allem regulatorisch bestimmt, allerdings unter Nutzung der Informationen aus lokalen Preissignalen.

Auch wenn Übertragungsrestriktionen in nodalen Preissystemen effektiv abgebildet werden, können Netzengpässe dennoch auftreten. Aktuell erfolgt ein Economic Dispatch in nodalen Preissystemen auf fünfminütiger Basis, wobei der Economic Dispatch in diesem Fall zum Ausgleich von abweichenden Last- oder Erzeugungsprofilen im Vergleich zur Day-Ahead Lösung genutzt wird (und nicht aufgrund der Unvereinbarkeit der Day-Ahead Lösung mit Netzrestriktionen). Zudem erfolgt der Economic Dispatch regional differenziert auf nodaler Ebene.​ Die Aufwände dafür sind aber sehr gering im Vergleich zu einem zonalen System.

Empirische Evidenz aus Ländern mit einem nodalen Preissystem legt nahe, dass Preisunterschiede zwischen einzelnen Knoten – im Mittel – gering sind. Lokale Preisunterschiede treten zudem nur in Zeiten von Netzengpässen auf. Langfristig werden durch ein nodales Preissystem netz- und systemdienliche Investitionen (z.B. in Flexibilitäten) angeregt, welche Netzengpässen effektiv vorbeugen und etwaige Preisunterschiede weiter verringern.

Aktuell ist die Liquidität in nodalen Märkten beispielsweise in den USA nicht als zu gering und als vergleichbar mit zonalen Systemen zu bewerten. Die Definition sog. Trading Hubs in Kombination mit Financial Transmission Rights sowie entsprechenden Auction Revenue Rights sind dabei etablierte Instrumente, um ausreichend Liquidität in nodalen Märkten sicherzustellen. Zudem können Auktionen zur Bündelung einzelner Gebote genutzt werden. 

Im Allgemeinen sind die Preisdifferenzen über das Jahr hinweg an verschiedenen Knoten nicht groß. Aus rein ökonomischen Gesichtspunkten wäre es effizient, lokale Preise auch auf Ebene der Endkonsumenten umzusetzen. In der Vergangenheit wurden z.B. in Kalifornien sog. Participating Loads im Rahmen eines nodalen Systems bepreist, Non-Participating Loads hingegen im Rahmen großer Preiszonen. In Zukunft könnte man bspw. Financial Transmission Rights nutzen, um Verteilungswirkungen auszugleichen.

Das Vorliegen von Marktmacht und eines damit einhergehenden missbräuchlichen Marktverhaltens stellt sich unabhängig von der Frage nodaler oder zonaler Preissysteme. So wird aktuell in zonalen Systemen lokale Marktmacht aktiv im Rahmen von Redispatch mit regulierten Entgelten adressiert, welche jedoch bei zukünftigen Flexibilitätsoptionen mit Opportunitätskosten (z.B. Nachfrageflexibilitäten und E-Fahrzeugen) an ihre Grenzen stoßen. Nodale Preissysteme können darüber hinaus einen positiven Beitrag leisten, Marktmacht transparent und somit für die Wettbewerbsaufsicht nachvollziehbar zu machen. So können beispielsweise konkrete Schlüsselakteure, welche Preise oder Netzknappheiten manipulieren, besser erkannt werden.

Aggregation ist bei lokalen Preissystemen nicht von zentraler Bedeutung, da einzelne Akteure Standing Orders oder Standing Bids einreichen können und über Multi-Part Bids technische Restriktionen abbilden können. Da die Vergütung nicht per Pay-As-Bid erfolgt, sondern zu Markträumungspreisen, erhalten sie dennoch die vollständige Vergütung im Sinne des marginalen lokalen Preises. Für kleinere Akteure (z.B. Betreiber von EE-Anlagen oder kleinere, flexible Nachfrager) bietet bspw. Kalifornien darüber hinaus die Möglichkeit, in Form aggregierter (Portfolio-) Gebote am Markt teilzunehmen. Dabei wird entweder je Knoten aggregiert, oder es werden regionale Aggregationszonen bestimmt, in welchen nur geringe Preisunterschiede (aufgrund weniger / keiner Netzengpässe) vorherrschen. In diesen Aggregationszonen ist die Aggregation einzelner dezentraler Gebote problemlos möglich. Eine vergleichbare Regelung ist auch für europäische Märkte denkbar.

Auch bisher werden Märkte mit unterschiedlicher nationaler Ausgestaltung gekoppelt. Es gibt darüber hinaus verschiedene Ansätze zur Kopplung nodaler und zonaler Preissysteme, z.B. geeignete Auktionsdesigns, sequentielle Räumung nodaler und zonaler Märkte, eine Vorprüfung von Geboten auf physikalische Machbarkeit oder aggregierte Angebotsfunktionen, welche im europäischen System angewendet werden könnten.

 

Beteiligte Institutionen

DIW Berlin
ewi
FIM
Fraunhofer FIT
Universität Luxemburg
TU München
ZEW