Zement – das Rückgrat unserer modernen Welt. Von Wolkenkratzern über Brücken bis hin zu Autobahnen, Zement ist allgegenwärtig, seine Produktion verursacht jedoch erhebliche CO₂-Emissionen, die acht Prozent der globalen Gesamtmenge ausmachen. thyssenkrupp Polysius plant nun, bis 2028 die erste Ofenanlage für ein CO₂-neutrales Zementwerk zu errichten, das durch das polysius® pure oxyfuel-Verfahren nahezu alle Emissionen auffängt. Unterstützt durch SynErgies digitalen Zwilling könnte dies die gesamte Zementindustrie revolutionieren.
Zement ist vielseitig einsetzbar und zählt zu den meistgenutzten Baustoffen weltweit, doch allein in Deutschland verursacht die Zementherstellung rund zwei Prozent der Treibhausgasemissionen. Zwei Drittel dieser Emissionen entstehen bei der Stoffumwandlung der Rohmaterialien zu dem Zwischenprodukt Klinker, während der Rest durch die Verbrennung von Energieträgern wie Kohle oder aufbereiteten Abfällen entsteht.
Die Zementproduktion ist ein komplexer, aus mehreren Schritten bestehender Prozess. Der erste Schritt des Prozesses, die Kalzinierung, bei der Kalkstein und Ton verarbeitet werden, ist der bedeutendste Emittent von CO₂. Denn der Kalkstein, ein unverzichtbarer Bestandteil, besteht bis zu 44 % aus CO₂. Die Umwandlung von Kalkstein in Kalk benötigt außerdem sehr große Mengen an Energie, die aufgrund der hohen benötigten Temperatur von 900 °C durch eine Verbrennungsreaktion geliefert werden.
Die Lösung: Oxyfuel-Technologie
Der SynErgie-Projektpartner thyssenkrupp Polysius hat eine innovative Lösung entwickelt: das polysius® pure oxyfuel-Verfahren. Anstatt den Kalkstein wie üblich in Umgebungsluft zu brennen, wird reiner Sauerstoff zugeführt. Das Oxyfuel-Verfahren, welches fast 100 % des klimaschädlichen Kohlendioxids auffängt, ermöglicht die Erreichung der CO₂-Neutralität ohne einen mühsamen Substitutionsprozess. Das abgeschiedene Gas wird zu nahezu reinem CO₂ aufbereitet, das in anderen Industriebranchen als Rohstoff genutzt werden kann.
Ein Prototyp dieser Technologie wird ab 2025 in einer Pilotanlage in Baden-Württemberg getestet. Das Projekt „catch4climate“ des Joint-Ventures „CI4C“, bestehend aus vier Zementproduzenten (Buzzi – Dyckerhoff, Heidelberg Materials, Schwenk Zement und Vicat), erprobt diese innovative Technologie, die künftig auf andere Werke übertragen werden kann. Für Jost Lemke, Verfahrensingenieur bei thyssenkrupp Polysius, ist der Aufbau der Pilotanlage ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz: „Die Pilotanlage ‚catch4climate‘ ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Verringerung der CO₂-Emission der Zementherstellung. Ein erfolgreicher Versuchsbetrieb wird für die Zementherstellung ein großer Schritt in Richtung einer klimaneutralen Produktion sein, da hier alle wesentlichen Verfahrensschritte erstmals integriert und im industriellen Maßstab getestet werden.“
Energieflexibilität und Wirtschaftlichkeit durch SynErgie
Die CO₂-Abtrennung bei der Zementherstellung ist sehr stromintensiv, wenngleich das polysius® pure oxyfuel-Verfahren eine der effizientesten Lösungen für diese Aufgabe ist. Ein energieflexibler Betrieb kann die wirtschaftliche Hemmschwelle senken und die Nachhaltigkeit weiter verbessern. Hier kommen die entwickelten Energieflexibilitätstechnologien aus SynErgie ins Spiel. Die Energieflexibilität fördert die Netzstabilität und macht die Oxyfuel-Technologie wirtschaftlicher.
Wie das ganze funktionieren kann, wird durch den Einsatz eines in SynErgie entwickelten digitalen Zwillings getestet – ein virtuelles Abbild der Anlage, das deren Verhalten realitätsnah abbildet. Mithilfe des digitalen Zwillings kann das neue Betriebskonzept entwickelt werden, ohne in die laufende Produktion einzugreifen. Für das Betriebskonzept wird in SynErgie ein hochmodernes Regelungskonzept entwickelt, welches eine flexible Fahrweise der Zementanlage ohne Produktionsqualitätseinbußen ermöglichen soll. Erste Großprojekte, wie z. B. das Vorhaben Carbon2Business der Firma Holcim in Schleswig-Holstein berücksichtigen die Nutzung erneuerbarer Energien, um energieflexibel produzieren zu können. Diese Flexibilität macht die Technologie kosteneffizienter, ohne die Zementqualität zu beeinträchtigen.
Für Can Kaymakci, Leiter der Koordinierungsstelle SynErgie spielt die Energieflexibilität eine bedeutende Rolle: „Die Umstellung industrieller Prozesse auf klimaneutrale Technologien kann durch die Elektrifizierung und CO₂-Abtrennung zu einem erhöhten Strombedarf führen. Energieflexibilität spielt hier eine zentrale Rolle. Durch die Anpassung des Energieverbrauchs an Zeiten günstiger Strompreise kann die Wirtschaftlichkeit dieser neuen Prozesse deutlich gesteigert werden. Forschungsprojekte wie SynErgie unterstützen uns dabei, diese Flexibilität zu heben und so die Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem der Zukunft zu ermöglichen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.“
Damit die Technologie genutzt werden kann und CO2-neutral funktioniert, muss der Ausbau erneuerbarer Energien konsequent weiterentwickelt und ausgebaut werden. Weiterhin braucht es eine Infrastruktur, die es ermöglicht, das aufgefangene CO2 zu nutzen. Sollte sich das Pilotprojekt in Schleswig-Holstein als erfolgreich erweisen, könnte dies die Zementbranche revolutionieren.
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Infos zu unserem Projektpartner thyssenkrupp
Die thyssenkrupp Polysius GmbH ist spezialisiert auf die Planung und den Bau von Zement- und Kalkanlagen. Mit unserem Produkt- und Dienstleistungsportfolio, das auf mehr als 160 Jahren Kompetenz und Erfahrung basiert, unterstützen wir Zementhersteller auf der ganzen Welt. Unsere Anlagen und Maschinen nutzen modernste Produktionsverfahren, schonen Ressourcen, minimieren die Umweltbelastung und erfüllen die Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Anlagenproduktivität. Wir unterstützen unsere Kunden in ihrer täglichen Arbeit als Sparringspartner für neue Aufgaben und entwickeln gemeinsam individuelle Lösungen.
Jost Lemke
Verfahrensingenieur bei thyssenkrupp Polysius
Can Kaymakci
Leiter Koordinierungsstelle
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