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Regulatorische Hemmnisse und Reallabore

Warum die Erkenntnisse des Projekts SynErgie in der Netzentgeltreform unbedingt zu berücksichtigen sind und weshalb regulatorisches Lernen für die Flexibilisierung der deutschen Industrie eine zentrale Rolle spielt.

Für eine erfolgreiche Energiewende ist die rasche und umfassende Flexibilisierung der Stromnachfrage zum Ausgleich einer zunehmend volatileren Einspeisung aus Erneuerbaren Energieanlagen von zentraler Bedeutung. Dies geht aus einem Bericht der Bundesnetzagentur (BNetzA) hervor, wonach industrielle Prozesse und Querschnittstechnologien bis 2031 mindestens acht Gigawatt Flexibilität als drosselbare Leistung bereitstellen müssen. Dabei zeigen Abschätzungen des seit 2016 von der Bundesregierung mit über 100 Mio. EUR geförderten Kopernikus-Projekts SynErgie, dass die Energieflexibilitätspotenziale und -perspektiven der deutschen Industrie diesen Bedarf deutlich übersteigen können.

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Um die industrielle Energieflexibilität jedoch wirtschaftlich nutzbar zu machen, müssen die regulatorischen Rahmenbedingungen dringend weiterentwickelt werden. SynErgie betont bereits seit vielen Jahren, dass insbesondere die derzeitige Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik ein zentrales Hemmnis sowohl für die Nutzung von heute bereits vorhandener als auch für die dringend benötigten Investitionen in zusätzliche Energieflexibilität darstellt. So erhalten Unternehmen gemäß § 17 Abs. 2 Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) Anreize, ihre Stromnachfrage mit dem Ziel der Lastspitzenminimierung zu steuern, um die Netzentgelte gering zu halten. Noch gravierendere Fehlanreize setzt § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV, der besonders energieintensive Unternehmen für ein konstantes Abnahmeverhalten mit Netzentgeltreduktionen von bis zu 90 Prozent belohnt. Eine solche Regelung war in einem Stromsystem mit wenigen steuerbare Großkraftwerke sinnvoll; im Zuge der Energiewende setzt dies jedoch einen vollkommen falschen Anreiz für Ineffizienz und Inflexibilität.

Die BNetzA hat dabei unlängst die bestehenden Hemmnisse und Fehlanreize der Netzentgeltsystematik erkannt und diese im Februar 2023 erstmals mit Sonderregellungen für die Ermittlung individueller Entgelte nach § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV teilweise adressiert. Möglich macht dies die bereits im September 2022 durchgeführte Novellierung des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) durch Einfügung des § 118 Abs. 46a EnWG in das EnWG. In den erlassenen Sonderregellungen werden – befristet bis 31.12.2025 – u. a. die Bandlastkriterien aufgeweicht, sodass Leistungserhöhungen oder -reduktionen in Zeiten besonders hoher und niedriger Preise am Day-Ahead Markt nicht mehr zwangsweise in die Berechnungssystematik individueller Netzentgelte einfließen. Als Referenzpreis wird dabei der Day-Ahead-Preis des vorangegangenen Werktags (bzw. Samstags, Sonntags oder Feiertags) herangezogen.

Die aktuellen Bemühungen der BNetzA zur verstärkten Nutzbarmachung industrieller Energieflexibilität sind aus unserer Sicht ein erster Schritt in die richtige Richtung. Allerdings greifen die Beschlüsse zu kurz, sind in ihrer Ausgestaltung zu kompliziert und wurden deshalb im Jahr 2023 von der Industrie kaum in Anspruch genommen. Gleichzeitig ignorieren die kurzfristigen Anpassungen den grundsätzlichen Novellierungsbedarf der Netzentgeltregulierung. Um die langfristigen Ziele einer erfolgreichen Energiewende und Transformation zu einer klimaneutralen Industrie bei gleichzeitigem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland entscheidend zu unterstützen, bedarf es verlässlicher, anwendbarer und vor allem zukunftsfähiger regulatorischer Rahmenbedingungen.

Eine mögliche Ausgestaltungsoption für eine weiterentwickelte Berechnungssystematik individueller Netzentgelte hat das SynErgie-Projekt beispielsweise im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) vorgestellt. Vor dem Hintergrund der umfassenden Regulierungsreform der deutschen Strom- und Gasnetze, in dessen Rahmen auch die „Sonderformen der Netznutzung Strom“ überarbeitet werden, wäre es wünschenswert, dass die BNetzA die Projekterkenntnisse und Weiterentwicklungsvorschläge des SynErgie-Projekts in ihrer Methodenüberarbeitung berücksichtigt. Nur so kann eine wirksame, verlässliche und anwendbare Netzentgeltregulierung über das Jahr 2025 hinaus entwickelt werden.

Sofern die beschriebenen Vorschläge nicht vollständig direkt auf Bundesebene umgesetzt werden, sollte regulatorisches Lernen im Rahmen von Modellregionen und Reallaboren erfolgen. Das vom BMWK initiierte Reallabor-Gesetz bietet hierfür die Grundlage, um bspw. in der Energieflexiblen Modellregion Augsburg die dargelegten notwendigen Änderungen in der Praxis zu erproben und zu evaluieren. Neben der Weiterentwicklung der Netzentgeltregulierung könnten beispielsweise auch die Dynamisierung von Steuern und Abgaben sowie die Einführung von lokal differenzierten Strompreissignalen im Rahmen eines von der EPEX Spot unterstützten lokalen Flexibilitätsmarktes im Reallabor erprobt werden. Mit 26 Partnerunternehmen, 11 Forschungseinrichtungen und 16 übertragbaren Demonstrationsvorhaben und der systematischen Vernetzung aller relevanter Stakeholder wie Politik, Netzbetreiber, Industrie und Gesellschaft bietet die Energieflexible Modellregion Augsburg ideale Voraussetzungen, um regulatorisches Lernen mithilfe von Experimentierklauseln zu realisieren. Gleichzeitig weist die Energieflexible Modellregion Augsburg als Region mit hoher fluktuierender Stromerzeugung und hohem industriellen Stromverbrauch eine sehr gute Übertragbarkeit auf andere Regionen in Deutschland auf, welche den industriellen Kern des Landes darstellen und damit für Deutschland und Europa von zentraler Bedeutung sind.