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Interview mit Alois Müller

Ein Einblick in den SynErgie Projektpartner Alois Müller

e-con; Dennis Bauer

Danke, lieber Dennis, dass du dir die Zeit genommen hast. Erzähl doch gerne mal ein bisschen. Wer seid ihr?

Die Alois-Müller-Gruppe ist seit 1973 vom traditionellen Familienbetrieb zum mittelständischen inhabergeführten Unternehmen mit über 900 Mitarbeitern und 14 Niederlassungen gewachsen. Alois Müller ist Spezialist für Energie- und Gebäudetechnik (Heizung, Lüftung, Sanitär, Kälte, Elektro) sowie den industriellen Anlagenbau. Gemäß dem Unternehmensleitsatz „Energie im Fokus“ liegt bei allen Projekten der Schwerpunkt auf innovativen sowie energieeffizienten Lösungen, ohne dabei den Benutzerkomfort einzuschränken.

e-con, Teil der Alois Müller-Gruppe, ist seit mehr als fünfzehn Jahren im Einsatz für erneuerbare Energien und versteht sich als Partner für die Energiewende. Für Kunden aus Kommunen, Industrie und Gewerbe entwickelt e-con CO2-neutrale Energiekonzepte, nachhaltige und hocheffiziente Wärmeversorgungen, die Ressourcen schonen und Energiekosten optimieren, moderne Photovoltaik-Lösungen sowie Full-Service-Lösungen für den Aufbau von Ladeinfrastrukturen für die Elektromobilität. Darüber hinaus ist e-con führend in der Planung und Umsetzungsbegleitung gebäudetechnischer Anlagen mit einem fundierten Leistungsspektrum: Von der Grundlagenanalyse, über die Ausführungsplanung bis hin zur Begleitung, Optimierung und Überwachung der Umsetzung.

Alois-Müller-Gruppe
Die Green Factory von Alois Müller

Welche Rolle spielte Alois Müller bisher und in Zukunft im Kopernikus-Projekt SynErgie?
Alois Müller ist seit der zweiten Förderphase im SynErgie-Projekt aktiv beteiligt. Für das Unternehmen bedeutet dies, dass die aktuelle dritte Förderphase kein Neuland ist. Bereits in der vorherigen Förderphase fungierte Alois Müller als Partner in der Energieflexiblen Modellregion Augsburg, jedoch in einer vergleichsweise kleinen Rolle. Die Schwerpunkte lagen dabei auf der Durchführung erster Analysen hinsichtlich des Energieflexibilitätspotenzials. In der aktuellen dritten Förderphase ist das Unternehmen als bedeutender Forschungspartner in der Energieflexiblen Modellregion Augsburg involviert und arbeitet mit renommierten Partnern wie dem Fraunhofer IPA, dem Fraunhofer IGCV, dem EEP an der Universität Stuttgart, der Software AG und dem Institutsteil Wirtschaftsinformatik am Fraunhofer FIT zusammen.

Als Alois Müller bearbeiten wir gemeinsam mit den Partnern zwei umfangreiche Arbeitspakete. Das Projekt SynErgie hat einen hohen Stellenwert im Unternehmen, da es einen beträchtlichen Mehrwert sowohl in der internen Anwendung bei Alois Müller als auch bei der Umsetzung von Energieprojekten für Kunden bietet. Das Besondere an dem Projekt ist, dass sich Alois Müller im Projekt nicht nur selbst weiterentwickeln kann, sondern auch die gewonnenen Erkenntnisse aus SynErgie nutzen kann, um unsere Kunden voranzubringen und somit natürlich einen gewaltigen Multiplikationseffekt schaffen.


Toll, dass das Projekt bei euch eine solche wichtige Rolle spielt. Du hast ja eben auch von der letzten Förderphase in SynErgie gesprochen. Was wurde denn der letzten Förderphase genau umgesetzt?

In der vorherigen Förderphase haben wir mit der Entwicklung des sogenannten FlexQuartiers begonnen. Das bedeutet, dass gemeinsam mit dem Fraunhofer IPA analysiert wurde, welche Energieflexibilitätsmaßnahmen in der Green Factory von Alois Müller sowie zwei benachbarten Unternehmen umgesetzt werden können. Diese Energieflexibilitätsmaßnahmen wurden ausgewertet, bewertet und eine erste Energieflexibilitätsmaßnahme in Zusammenarbeit mit der Software AG an die Unternehmensplattform angebunden. Auf diese Weise konnten wir nicht nur den grundlegenden Kommunikationsweg mit der Energiesynchronisationsplattform testen, sondern erhielten am Ende der zweiten Förderphase auch eine umfassende Übersicht über die vorhandenen Energieflexibilitätsmaßnahmen. Man könnte sagen, wir haben Proof of Concept entwickelt, der es uns ermöglicht, diese Energieflexibilitätsmaßnahmen sowohl auf der Energiesynchronisationsplattform zu visualisieren als auch weiterhin zu steuern.


Und in der jetzigen dritten Förderphase wird ja darauf dann aufgebaut. Was ist dann das Ziel, was ihr jetzt in den nächsten drei Jahren machen wollt?

Grundsätzlich sind wir in zwei miteinander verbundenen Bereichen aktiv. Zum einen setzen wir unsere Bemühungen für den Aufbau des FlexQuartiers fort: Hier streben wir an, unsere benachbarten Unternehmen enger zu integrieren und die Verknüpfung der Energiemanagementsysteme zu vertiefen, um eine breitere Palette von Energieflexibilitätsmaßnahmen nutzen zu können. Bisher haben wir beispielsweise nur eine technisch umsetzbare Energieflexibilitätsmaßnahme realisiert. Jetzt steht die Automatisierung und Nutzung weiterer Energieflexibilitätsmaßnahmen im Fokus, um das FlexQuartier nicht nur auf einzelne Prototypen zu beschränken, sondern umfassend umzusetzen.

Das zweite Thema betrifft den sogenannten EFlex Container, der ein neues Entwicklungsprojekt in der dritten Förderphase von SynErgie darstellt. Die Idee hinter dem EFlex Container ist, mobile Anlagen zu konstruieren, die Unternehmen über einen längeren Zeitraum mieten können, sei es, weil sie gerade keine neuen Energieanlagen installieren möchten oder weil sie ihre Anlagen modular halten wollen. Hier entstand die Überlegung, dass es äußerst wirkungsvoll wäre, wenn all diese mobilen Anlagen energieflexibel wären. Die Vision besteht darin, einen Baukasten zu entwickeln, mit dem ein EFlex Container zusammengestellt werden kann. Dies ermöglicht es, eine mobile Anlage zu erwerben oder zu mieten, die bereits über inhärente Energieflexibilität verfügt und direkt mit der Energiesynchronisationsplattform kommunizieren kann.

Die dritte Förderphase im Projekt SynErgie ist enorm spannend für uns, da wir einerseits das FlexQuartier haben, das sehr regional ausgerichtet ist und enge Beziehungen zu Unternehmen in der Nachbarschaft pflegt. Andererseits entwickeln wir den EFlex Container, der es ermöglicht, Energieflexibilität auch direkt in Anlagen zu integrieren, die wir fertig an unsere Kunden liefern. Dies stellt für uns einen attraktiven Zweiklang der angestrebten Ziele in der dritten Förderphase dar.

Du sprichst immer vom Flexquartier – könntest du bitte nochmal genauer darauf eingehen? Wer ist hier genau involviert?

Das FlexQuartier ist in der Gemeinde Ungerhausen im Unterallgäu beheimatet und besteht derzeit aus drei kooperierenden Unternehmen. Zu diesen gehören die Green Factory von Alois Müller, das produzierende Unternehmen CB-tec und Depot des Logistikers DPD. Diese drei Unternehmen bilden das derzeitige FlexQuartier, wobei die Vision besteht, dieses Konzept in der Zukunft weiter auszubauen.

Von der Green Factory aus erfolgt die Wärmeversorgung für DPD und CB-tec, was bedeutet, dass bereits ein bestehendes Wärmenetz vorhanden ist. Ein Stromaustausch zwischen den Unternehmen findet aufgrund regulatorischer Hemmnisse derzeit nicht statt. Jedes Unternehmen bezieht daher seinen Strom entweder selbst von einem entsprechenden Energieversorger oder erzeugt ihn eigenständig mithilfe von PV-Anlagen auf den Dächern.

Welche konkreten Energieflexibilitätsmaßnahmen sollen umgesetzt werden?

Wir haben verschiedene Energieflexibilitätsmaßnahmen identifiziert, die sich in ihrer Umsetzbarkeit und ihrem Nutzen unterscheiden. In der zweiten Förderphase haben wir diese Energieflexibilitätsmaßnahmen priorisiert und beabsichtigen, sie in der Reihenfolge der Priorisierung in der dritten Förderphase umzusetzen. Eine bereits umgesetzte Energieflexibilitätsmaßnahmen ist die Flexibilität, die sich aus der Power-to-Heat-Anlage ergibt. Konkret bedeutet dies, dass wir eine Power-to-Heat-Anlage und einen Warmwasserspeicher implementiert haben. Wir können entweder Strom aus dem Netz oder überschüssigen Solarstrom nutzen, um diesen in Wärme umzuwandeln. Diese Wärme wird dann verwendet, um sowohl die Green Factory als auch darüber hinaus das FlexQuartier zu versorgen. Die Entscheidung für diese Energieflexibilitätsmaßnahmen basierte auf ihrer einfachen Umsetzbarkeit, da die Technik bereits vorhanden war, und dem hohen Nutzen. Es handelte sich hauptsächlich um ein Softwarethema, und es bestand keine Abhängigkeit von den Produktionsprozessen. Daher war das Risiko gering, der Aufwand war minimal, und dennoch ergab sich ein erheblicher Nutzen zur Steigerung der Eigenverbrauchsquote des PV-Stroms (Anteil des selbst erzeugten Stroms, der auch selbst genutzt werden kann).

Für die dritte Förderphase planen wir nun, basierend auf dieser Priorisierung, weitere Maßnahmen umzusetzen. Die nächste Maßnahme, die wir derzeit prüfen, ist die Integration eines Blockheizkraftwerks (BHKW). Dabei soll nicht nur die Power-to-Heat-Anlage energieflexibel in den Pufferspeicher einspeisen können, sondern auch unser Ökogas betriebenes BHKW. Zusätzlich beabsichtigen wir, unseren derzeit eher kleinen Batteriespeicher, welcher hauptsächlich zur Spitzenlastkappung genutzt wird, auszubauen. Dies ermöglicht es uns dann zukünftig, die Energieflexibilität aus dem Batteriespeicher zu vermarkten.


Das klingt nach sehr guten Maßnahmen. Welche Rolle spielt denn ein übergreifendes Energiemanagementsystem bei der Umsetzung von den Energieflexibilitätsmaßnahmen, die du gerade genannt hast?

Die Implementierung eines Energiemanagementsystems ist in der Tat ein grundlegender Schritt, um Transparenz zu schaffen. Es ermöglicht, den aktuellen Energieverbrauch und die Energieerzeugung zu überblicken. Ohne Kenntnisse über Verbrauch und Erzeugung ist die Umsetzung von Energieflexibilitätsmaßnahmen äußerst schwierig.

Es wäre ineffizient, wenn jemand am an einem Monitor sitzen müsste, den Energieverbrauch beobachten und dann jemanden in der Fertigung anrufen sollte, um beispielsweise eine Anlage zu steuern. Automatisierung ist hier entscheidend. Das Energiemanagementsystem muss die Möglichkeit bieten, Anlagen automatisch zu steuern, basierend auf beispielweise vordefinierten Regeln und Bedingungen oder KI-basierten Modellen. Zum Beispiel, wenn ausreichend PV-Strom erzeugt wird und gleichzeitig kein hoher Wärmebedarf besteht, ergibt es keinen Sinn, dass das BHKW läuft. In solchen Situationen ist es entscheidend, dass das Energiemanagementsystem automatisch das BHKW herunterregelt und andere Erzeuger nutzt.

Welche Vorteile hat denn so ein übergreifendes Energiemanagementsystem?
Der erste Vorteil liegt zweifellos in der Transparenz. Durch das Energiemanagementsystem erlangt man ein klares Verständnis darüber, was in der Fabrik oder im Quartier tatsächlich geschieht. Die unternehmerischen Vorteile, die sich daraus ergeben, sind eine Reduzierung von Energiekosten. Dies geschieht erstens durch die Nutzung von Energieflexibilität zur Spitzenlastkappung, zweitens durch die Optimierung der Eigenverbrauchsquote und drittens durch mögliche Zusatzerlöse durch die Vermarktung von Energieflexibilität. Ein konkretes Beispiel ist die deutliche Steigerung der Eigenverbrauchsquote durch flexible Verbraucher und das Energiemanagementsystem, welche wir in der Green Factory realisieren konnten.


Kann denn Alois Müller seine Vorhaben auf ein bereits vorhandenes Energiemanagement System aufbauen?

Das bereits in der Green Factory implementierte Energiemanagementsystem wurde seit der Inbetriebnahme im Laufe der Jahre kontinuierlich verfeinert und erweitert. Im Rahmen von SynErgie haben wir nun eine weitere Automatisierungsebene hinzugefügt, indem die Unternehmensplattform an dieses Energiemanagementsystem angedockt wurde. Dies ermöglicht das Auslesen von Daten aus dem Energiemanagementsystem und die Steuerung des Energieverbrauchs darüber.

Gut, dass du auf die Green Factory zu sprechen kommst. Diese zeichnet Alois Müller ja auch aus. Welche Rolle spielt die Green Factory denn im Unternehmen? Und welche Rolle in SynErgie?
Die Green Factory spielt eine bedeutende Rolle, sowohl bei Alois Müller als auch im Rahmen des Projekts SynErgie. Bei Alois Müller nutzen wir die Green Factory, um unsere Teams auf Baustellen effizient mit vorgefertigten Baugruppen zu versorgen. Diese Baugruppen werden in der Green Factory hergestellt und dann zu den Baustellen geliefert. Dies ermöglicht es unseren Teams, auf den Baustellen schneller zu arbeiten und gleichzeitig höhere Qualitätsstandards zu erreichen. Eine wesentliche Bedeutung haben auch die modularen Anlagen, die ebenfalls in der Green Factory produziert werden und dann fertig zum Kunden geliefert werden, sei es als kurzfristige Miete einer mobilen Anlage oder als dauerhaft eingesetzte Energiemodule. Die Anlagen werden in der Green Factory hergestellt und kommen vorbereitet auf die Baustelle, wo sie nur angeschlossen und in Betrieb genommen werden müssen. Diese Herangehensweise ermöglicht es uns, als Unternehmen flexibel und zu agieren, hohe Qualitätsstandards einzuhalten und zugleich mit dem Problem des Fachkräftemangels umzugehen.

Im Rahmen des Projekts SynErgie spielt die Green Factory eine entscheidende Rolle, da sie als Energiezentrale und Herzstück des FlexQuartiers fungiert. DPD und CB-tec verfügen beispielsweise nicht über eigene Energiezentralen, sondern werden über die Energiezentrale der Green Factory versorgt.


Ich als Unternehmen kann mir aber natürlich nicht einfach eine Green Factory bauen, oder? Da gehört ja noch viel mehr dazu.

Ohne ein Energiemanagementsystem wäre die Umsetzung einer Green Factory nicht möglich. In diesem Fall könnten die Anlagen zwar einen nachhaltigen Betrieb ermöglichen sein, er würd ejedoch nicht umgesetzt werden. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Wenn die Stickstoffanlage kontinuierlich betrieben wird, unabhängig von der aktuellen Erzeugungssituation, könnte sie im Zweifel mit Netzstrom betrieben werden. Mit einem Energiemanagementsystem kann die Stickstoffanlage jedoch so gesteuert werden, dass sie mit überschüssigem PV-Strom betrieben wird, wodurch ein nachhaltiger Betrieb gewährleistet ist. Dies verdeutlicht die essenzielle Rolle des Energiemanagementsystems für eine nachhaltige und umweltfreundliche Green Factory. Für die Umsetzung im Unternehmen benötigt es also neben der eigentlichen Anlagentechnik ein ganzheitliches Energiekonzept mitsamt einem intelligenten Energiemanagementsystem.

Green Factory

Die Green Factory wird erst durch das Energiemanagementsystem zu einer intelligenten Green Factory. Technische Voraussetzungen allein reichen nicht aus; die Softwarekomponenten des Energiemanagementsystems sind entscheidend, um alle Anlagen in der Green Factory effizient und flexibel zu steuern. Die angestrebten Mehrwerte, wie ein hoher Eigenverbrauch, die Nutzung regenerativer Energie und eine hohe Flexibilität, können nur dann vollständig realisiert werden, wenn ein intelligentes Energiemanagementsystem vorhanden ist. Es fungiert als zentrales Element, das die verschiedenen Komponenten koordiniert und optimiert, um die gewünschten wirtschaftlichen und ökologischen Ziele zu erreichen.

 
Alois-Müller-Gruppe
Green Factory von Alois Müller

Gut, dass wir an dieser Stelle schon die Umsetzbarkeit angesprochen haben. Wäre eine Umsetzung der Energieflexibilitätsmaßnahmen mit Hilfe eines übergreifenden Energiemanagementsystems auch bei anderen Industrieparks möglich?
Die Implementierung von Energieflexibilitätsmaßnahmen mittels eines übergreifenden Energiemanagementsystems kann zweifellos auch in anderen Industrieparks realisiert werden. Das SynErgie-Projekt hat nicht nur für die Alois Müller Gruppe, sondern auch für andere Unternehmen wegweisende Erkenntnisse und innovative Energiekonzepte hervorgebracht. Die Vielfalt der Energieflexibilitätsmaßnahmen in unterschiedlichen Unternehmen verdeutlicht, dass individuelle Anpassungen und Lösungen erforderlich sind. Der entscheidende Mehrwert von SynErgie liegt für die Alois Müller Gruppe jedoch in der erfolgreichen Integration von Energieflexibilität in bestehende Energiekonzepte, insbesondere bei Kundenprojekten.

Die Übertragbarkeit dieses Konzepts auf andere Standorte und Industrieparks wird durch die gewonnenen Erkenntnisse und die entwickelten technologischen Lösungen ermöglicht. Die erfolgreiche Umsetzung bei Kundenprojekten dient dabei als Vorreiter für weitere Multiplikationseffekte. Dieser Ansatz verdeutlicht, dass die Umsetzbarkeit nicht nur theoretisch möglich ist, sondern bereits aktiv in unseren Kundenprojekten praktiziert wird. Es ist also nicht nur möglich, sondern wird bereits aktiv getan.

Würdest du sagen, dass gerade Energieflexibilität essenziell ist für Unternehmen in der Zukunft? Denken wir jetzt mal nicht an 2030 sondern mal an 2050 – meinst du, das ist essentiell für die Existenz von der Industrie, dass sie energieflexibel produzieren?
Aus meiner Sicht nicht nur für die Industrie, sondern auch für die gesamte Gesellschaft. Die begrenzte Verfügbarkeit von Wasserkraft als grundlastfähiger Energiequelle in Deutschland stellt eine Herausforderung dar. Im Gegensatz dazu weisen Photovoltaik und Windenergie spezifische Profile auf, die eine flexible Nutzung des erzeugten Stroms erfordern. Energieflexibilität kann einen entscheidenden Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten. Es ist zwar klar, dass Energieflexibilität allein nicht sämtliche Herausforderungen bewältigen kann, und Energiespeicher ebenfalls benötigt werden. Dennoch kann die geschickte Nutzung vorhandener Energieflexibilitäten durch intelligente Softwarelösungen zu einer drastischen Reduzierung der erforderlichen Speicherkapazitäten führen. Dies hätte volkswirtschaftlich betrachtet den Vorteil, erhebliche Investitionen einzusparen, die von der Bevölkerung getragen werden müssten.

Ein anschauliches Beispiel ist die Installation einer großen PV-Anlage auf einem Hallendach. Die effiziente Nutzung von Energieflexibilität ermöglicht es, einen Großteil des erzeugten Stroms selbst zu verbrauchen, anstatt ihn zu einem niedrigen Preis ins Netz einzuspeisen. Dadurch amortisiert sich die PV-Anlage schneller, was wirtschaftlich für das Unternehmen vorteilhaft. Gleichzeitig wird dadurch das Stromnetz weniger belastet, was dessen Ausbaubedarf reduziert und damit die Gesellschaft weniger belastet.


KMU wie Alois Müller haben im Vergleich zur energieintensiven Industrie einen geringen Energieverbrauch. Macht es trotzdem Sinn, sich mit dem Thema Energieflexibilität auseinanderzusetzen und dieses auch umzusetzen?

Absolut, Energieflexibilität spielt eine entscheidende Rolle, unabhängig davon, ob ein Unternehmen zur energieintensiven Industrie gehört oder nicht. Bei Alois Müller sind die Hauptziele klar definiert: die Erhöhung der Eigenverbrauchsquote von selbst erzeugtem Strom sowie die Reduktion der Spitzenlast, was mit direkten finanziellen Vorteilen verbunden ist. Wenngleich die Ziele in anderen Unternehmen etwas anders definiert sein können, kann Energieflexibilität unabhängig von der Unternehmensgröße und der Energieintensität entscheidende finanzielle Vorteile mit sich bringen. Die Auseinandersetzung mit Energieflexibilität ist für jedes Unternehmen lohnenswert.

In Fällen, in denen Unternehmen nicht alle erforderlichen Kompetenzen intern aufbringen können, ist die Zusammenarbeit mit vertrauensvollen Partnern entscheidend. Gemeinsam kann man das eigene Energiesystem analysieren, Möglichkeiten zur Optimierung identifizieren und feststellen, wie man durch Energieflexibilität wirtschaftlichen Mehrwert generieren kann.

Was ist noch wichtig? Möchtest du sonst noch etwas hinzufügen?

Die Einbindung der Mitarbeiter:innen ist von zentraler Bedeutung, da eine energieflexible Fabrik zwangsläufig Veränderungen mit sich bringt. Es ist normal, dass Mitarbeiter:innen anfangs skeptisch reagieren können, wenn sich gewohnte Prozesse ändern. Daher ist es entscheidend, die tatsächlichen Auswirkungen der Veränderungen transparent zu kommunizieren. Einige Aspekte, wie die Herkunft der Wärme, mögen für die Mitarbeiter:innen weniger relevant sein, während andere Energieflexibilitätsmaßnahmen direkten Einfluss auf die Arbeit in Produktionsprozessen haben können. Die Integration einfacher Lösungen, wie beispielsweise CO2-Ampeln in der Green Factory, die den aktuellen Status der Energieerzeugung anzeigen, ermöglicht es den Mitarbeiter:innen, auf einen Blick zu erkennen, ob es sinnvoll ist, bestimmte Anlagen zu schalten. Solche greifbaren und leicht verständlichen Werkzeuge tragen dazu bei, die Belegschaft mitzunehmen und ein positives Gefühl in Bezug auf die Veränderungen zu vermitteln.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Transparenz hinsichtlich der eingesparten CO2-Menge. Das Bewusstsein für ökologische Aspekte wird immer relevanter, und Unternehmen zeigen zunehmend Interesse daran zu erfahren, welchen CO2-Fußabdruck zugekaufte Baugruppen aufweisen. Die klare Kommunikation dieser Informationen auf den Rechnungen von in der Green Factory hergestellten Teilen und Baugruppen ist nicht nur ein Gimmick, sondern gewinnt in einer nachhaltig orientierten Wirtschaft zunehmend an Bedeutung.

CO2 Ampel von Alois Müller

Neben der unternehmerischen Seite, haben wir ebenso ein Interview mit den Forschenden geführt, die in SynErgie mit Alois Müller zusammenarbeiten. Sie arbeiten an der Universität Stuttgart (EEP) und geben weitere, tiefgreifende Insights. Herzlichen Dank an Lukas Baur, Isabella Bianchini und Jan-Niklas Gerdes für die Beantwortung der Fragen.

Insgesamt konnten beim FlexAudit 17 Maßnahmen identifiziert werden, wobei vier der Maßnahmen zu den umliegenden Unternehmen CB-Tec und DPD gehören. Die Maßnahmen unterscheiden sich dabei hinsichtlich der flexibilisierbaren Leistung, Abrufdauer und auch der Umsetzung. Dabei haben vor allem Maßnahmen zur Energiespeicherung ein hohes Potenzial, genau wie die intelligente Nutzung des vorhandenen BHKWs zur Strom- und Wärmeerzeugung. Diese Maßnahmen haben auch besonders hohe Abrufzeiten, genau wie die Verschiebung von energieintensiven Prozessschritten. Bei der Umsetzung können die Maßnahmen in drei Phasen unterteilt werden, nach denen wir die Maßnahmen im Rahmen des Projektes Stück für Stück umsetzen.

In der ersten Phase sollen die bereits existierenden Anlagen steuerungstechnisch an die Marktplattform angebunden und intelligent genutzt werden. Dazu gehören neben den existierenden Speichern und dem BHKW auch die Lüftungsanlagen. In der zweiten Phase soll die Implementierung von einfach implementierbaren Zusatzanlagen stattfinden. Dazu gehören vor allem der Aufbau von Batteriespeichern bei den assoziierten Unternehmen CB-Tec und DPD, sowie der Aufbau von BEV-Ladestationen bei allen drei Unternehmen. In der letzten Phase werden dann die Maßnahmen umgesetzt, die durch die Planung der Produktion ausgelöst werden können. Das sind organisatorische Maßnahmen, wie der Verschiebung von Prozessen in energetisch bessere Tageszeiten. Diese Planung benötigt dabei allerdings eine Planungsunterstützung, damit kein erhöhtes Risiko von Produktionsverzögerungen oder Schäden entsteht.

Diese Entscheidung erfordert eine umfassende Analyse der Produktionsprozesse. Die Durchführbarkeit von Änderungen der Schichtzeiten oder Anpassungen der Produktionsparameter ohne Produktionsunterbrechungen muss bewertet werden. Die Möglichkeit, die Startzeit eines Produktionsprozesses um eine Stunde oder eine ganze Schicht zu verschieben, ist beispielsweise eine geeignete Maßnahme zur Energieflexibilisierung, wenn sie die Produktion nicht beeinträchtigt. Hierfür ist eine enge Abstimmung mit der Produktionsplanung erforderlich, um die Produktionsziele und den aktuellen Schichtplan aufeinander abzustimmen.

Ein Beispiel für eine geeignete Energieflexibilitätsmaßnahme ist die flexible Nutzung lokal erzeugter Energie, wie z.B. von einem Blockheizkraftwerk (BHKW) im Unternehmen. Diese Anlage dient primär der Wärme- und Stromversorgung der Anlage, kann aber ohne negative Auswirkungen auf die Produktion energieflexibel betrieben werden. So ist es beispielsweise möglich, die Erzeugung von Strom und Wärme für bestimmte Zeiträume zu regeln und durch den Einsatz von Wärmespeichern die Produktion von Wärme und Strom zu entkoppeln. Dadurch kann die KWK-Anlage Stromspitzen kappen.

Eine weitere geeignete Maßnahme zur Energieflexibilität ist der Einsatz eines Batteriespeichersystems. Ein solches System kann je nach Bedarf geladen und entladen werden, ohne die Produktion zu beeinflussen. Es kann in Zeiten niedriger Energiepreise oder hoher PV-Erzeugung aufgeladen und in Lastspitzen oder Zeiten hoher Energiepreise entladen werden, wodurch die elektrische Gesamtlast reduziert wird

Das Unternehmen Alois Müller hat am Standort zwei weitere mit dem Projekt assoziierte Unternehmen, CB-Tec und DPD. Um die Flexibilität des Standortes zu maximieren können Maßnahmen aus mehreren Unternehmen intern und extern gesammelt angeboten werden. Durch die Trennung der Unternehmen besteht der Vorteil, dass sich die Maßnahmen nicht gegenseitig ausschließen oder behindern, benötigt aber auch einen erhöhten Aufwand bei der Umsetzung. Vor allem die Steuerung der Maßnahmen und Verrechnung der Flexibilität stellen dabei große Schwierigkeiten dar, ermöglichen aber auch viel Potenzial. Für das Projekt werden daher vor allem einfach umsetzbare Maßnahmen für die gesammelte Vermarktung von Energieflexibilität genutzt und bei den beiden assoziierten Unternehmen Batteriespeicher und BEV-Ladestationen aufgebaut. Diese werden dann gesammelt mit der Flexibilität von Alois Müller angeboten.

Geplant ist eine zentralisierte Ansteuerung und Vermarktung der Maßnahmen durch Alois Müller. Das Unternehmen hat das größte Energieflexibilitätspotenzial und kann dieses durch die Nutzung von der Flexibilität der assoziierten Unternehmen upgraden. Einzeln könnten diese durch die geringe Energiemenge keine Vermarktung anstreben und können also durch die externe Nutzung eine weitere Optimierung ihrer Infrastruktur realisieren. Das Projekt soll dabei das Potenzial, aber auch die Hindernisse und Probleme einer solchen Zusammenarbeit aufzeigen, damit diese in zukünftigen Projekten dieser Art kein Hemmnis für die Umsetzung darstellt. Die relevanten Aggregate sollen dabei an die zentrale Steuerung mit Marktplattformanschluss der Alois Müller angeschlossen werden. Damit kann die Flexibilität unter Einhaltung der Stakeholderanforderungen vermarktet und genutzt werden.

Die Vermarktung von Energieflexibilitätsmaßnahmen umfasst mehrere Strategien, die auf die Bedürfnisse und Ziele des Unternehmens zugeschnitten werden müssen. Ein Ziel ist es, die Netzentgelte mithilfe von EFM zu reduzieren, insbesondere im Hinblick auf die Leistungskomponente, die von den höchsten Spitzen in einem Monat oder Jahr abhängt. Die Umsetzung von Energieflexibilitätsmaßnahmen zur Begrenzung dieser Lastspitzen kann zu erheblichen Kosteneinsparungen führen.

Ein weiterer Weg für die Vermarktung von EFM besteht in der Senkung der Energiekosten bei dynamischen Energiepreisterifen, wie z. B. Time-of-Use-Tarife (oder Hoch- als auch Niedertarif) oder stündliche Energiepreise. Durch die Optimierung von Produktionsplänen oder das Be- und Entladen von Speichersystemen auf Basis von Preissignalen können Kostenvorteile erzielt werden. Darüber hinaus ermöglicht die Teilnahme an Energie- oder Reserveleistungsmärkten, auch durch Aggregatoren, die aktive Vermarktung von Energieflexibilität.

Dabei ist zu beachten, dass die Vermarktungsziele für EFM manchmal im Konflikt zueinander stehen können, weshalb einige Prioritäten gesetzt werden müssen. Der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) skizziert verschiedene Energieflexibilitätsziele und bietet damit eine umfassende Anleitung für Vermarktungsstrategien für EFM [VDI 5207 Blatt 2].

Betrachten wir einen typischen Tag bei Alois Müller für den Fall, dass die EFM zur Reduzierung der Stromkosten auf Basis eines stündlichen Preistarifs und zur Spitzenlastreduzierung eingesetzt werden.

Mittags werden niedrige Preise und eine hohe PV-Erzeugung erwartet, während morgens und abends, wenn die PV-Erzeugung nicht verfügbar ist, mit Preissteigerungen zu rechnen ist. Um den Energieverbrauch zu optimieren, plant Alois Müller strategisch, bestimmte Produktionsprozesse, wie z. B. die Lackierkabine, zu verschieben, um von den niedrigeren Energiepreisen in den zentralen Stunden des Tages zu profitieren. Dies entspricht der Erzeugung von PV-Energie, und die EFM trägt dazu bei, die Spitzenlast in den Morgenstunden zu verringern und die Gesamtenergiekosten zu senken. Außerdem werden Batteriespeicher während der preisgünstigen Nachtstunden beladen und in den Morgenstunden entladen, um die Energiekosten weiter auszugleichen, und die überschüssige Energie der PV-Anlage wird zum Beladen der Batterie verwendet. Diese Maßnahmen führen nicht nur zu erheblichen Kosteneinsparungen, sondern tragen auch zur Reduktion der CO2-Emissionen bei.

Nachdem man alle Flexibilitäten strukturiert erfasst, charakterisiert, bewertet und die relevantesten identifiziert hat (siehe Frage 2), kann man diesen Maßnahmenkatalog zur Vermarktung einsetzen. Die Wahl, welche Maßnahmen wann aktiviert wird, hängt von verschiedenen Faktoren wie Profit und Risiko ab. Prinzipiell wird versucht, den Nutzen beim Einsatz einer Maßnahme zu maximieren, dieser Nutzen wird oft finanziell bewertet, um eine Entscheidung herbeizuführen. Dazu wird der Nutzen auf verschiedenen Märkten bestimmt, indem der optimale Einsatzzeitpunkt berechnet wird, und der Erlös abgeschätzt wird. Der Einsatzzeitpunkt wird mittels Optimierungsmodellen bestimmt, diese ziehen ebenso die Unsicherheit der Prognosen mit ein.

Zur initialen Bewertung, auf welchen Märkten die Maßnahme verwendet werden soll, werden typischerweise historische Daten verwendet, in den Annahme, dass sich die Erlösaussichten auf die aktuelle Einsatzform extrapolieren lassen. In der Echtzeit-Anwendung wird die Entscheidung auf Grundlage von Prognosen des Folgetags (day-ahead) oder des aktuellen Tags (intraday) unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen bestimmt.

Wir können natürlich nicht darüber urteilen, ob die Existenz eines Industriebetriebes davon abhängig ist, ob es energieflexibel oder nicht betreiben ist. Zudem sind der Flexibilisierung auch natürliche Grenzen gesetzt, da bestimmt Prozesse und Abläufe nur bedingt flexibilisierbar sind und somit nie ein vollständig flexibles Industriegebäude die Zielvorstellung ist. Zudem hängen die wirtschaftlichen getriebenen Interessen in die Investition in Flexibilität auch davon ab, wie viel Energie bezogen werden muss, um das Unternehmen zu betreiben. Energieintensivere Unternehmen, die starke Abhängigkeit vom Energiemarkt und damit finanzielles Risiko haben, sind hierbei möglicherweise eher bestrebt, zu investieren, als Unternehmen, deren Energiekosten einen Bruchteil der Gesamtkosten ausmachen.

Ganz allgemein sind wir jedoch davon überzeugt, dass die Unternehmen der Zukunft Energieflexibilität weiter in den Fokus rücken werden und dies auch müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Man denke hier an einerseits an den zunehmenden Anteil an erneuerbaren Energieträgern im Energiemix, die das Netz instabilisieren und an den lang dauernden Ausbau der Übertragungsnetze. Beides wird dazu führen, dass eine flexible Abnahme von Energie gegenüber der statischen Abnahme monetäre Vorteile bringt. Unternehmen, die diese Lücke erkennen und ihre Abläufe und Infrastruktur entsprechend adaptieren, können hier von einem wesentlichen Wettbewerbsvorteil profitieren.

Definitiv, ja. Wie oben beschrieben hängt das Potential für Energieflexibilität nicht nur von der Menge des Energiebedarfs ab, sondern auch von weiteren Rahmenbedingungen. So können Unternehmen mit prozess- oder lagerbedingt starren Rahmenbedingungen weniger Flexibilität trotz hohem Energieverbrauch anbieten. Der umgekehrte Fall gilt entsprechend.

Darüber hinaus kann bereits durch kleine Änderungen im Prozessablauf, der Steuerung oder dem Energiemanagement große Auswirkungen auf die Energierechnungen haben. Entsprächen ist es absolut empfehlenswert, bereits potentiell vorhandene low-hanging fruits nutzbar zu machen.