Zum Ausgleich der volatilen Einspeisung Erneuerbarer Energien wie Sonne und Wind bedarf es aller Fle-xibilitätsoptionen im deutschen Stromsystem. Dies gilt insbesondere für die Flexibilisierung der Strom-nachfrage. Stark diskutiert werden unter anderem batterieelektrische Fahrzeuge und Wärmepumpen, die jedoch aufgrund des deutlich langsameren Hochlaufs als geplant erst mittel- und langfristig einen signi-fikanten Beitrag leisten können. Eine heute schon verfügbare und unter entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen rasch nutz- und ausbaubare Flexibilitätsoption ist die Energieflexibilität produzie-render Unternehmen und insbesondere der energieintensiven Industrie. Die schnelle und umfassende Fle-xibilisierung deren Stromnachfrage ist deshalb ein entscheidender Baustein für das Gelingen der Energie-wende.
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits im Jahre 2015 die Kopernikus-Projekte als Schlüsselprojekte der Energiewende ausgeschrieben. Es fördert von 2016 bis 2026 mit über 100 Mio. € das Kopernikus-Projekt SynErgie – Synchronisierte und energieadaptive Produktionstechnik zur flexiblen Ausrichtung von Industrieprozessen auf eine fluktuierende Energieversorgung. SynErgie hat zum Ziel, innerhalb von zehn Jahren, im Einklang mit rechtlichen und sozialen Aspekten, alle technischen Voraussetzungen zu schaffen und Handlungsempfehlungen für marktseitige Voraussetzungen abzuleiten, um den Energiebedarf der deutschen Industrie mit dem fluktuierenden Energieangebot zu synchronisieren. Um die industrielle Energieflexibilität jedoch wirtschaftlich nutzbar zu machen, bedarf es einer Weiterentwicklung der gegenwärtigen regulatorischen Rahmenbedingungen. Im Zuge der Projektarbeiten wurde bereits vor acht Jahren festgestellt, dass die derzeitige Ausgestaltung der Netzentgeltermittlung nach § 17 Abs. 2 StromNEV und insbesondere die individuellen Netzentgelte ge-mäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV wesentliche Flexibilitätshemmnisse darstellen und dringender Änderungsbedarf besteht.
Wir begrüßen deshalb das Ziel der Bundesnetzagentur, zum 01. Januar 2026 eine Änderung zu erlassen, welche nicht nur die Flexibilitätshemmnisse abbaut, sondern auch positive Anreize zur Flexibilitätserbrin-gung beinhalten soll. Zur Unterstützung unterbreiten wir nachfolgend Vorschläge, die 1) im Vergleich zu den aktuellen Regelungen aufkommensneutral sind, 2) unter Berücksichtigung der technischen und or-ganisatorischen Herausforderungen in der Breite der energieintensiven Industrie Flexibilität anreizen und 3) bei einer zunehmend flexibleren Stromnachfrage auch die Netzrestriktionen beachten. Die Reformvorschläge regen bei niedrigen Strompreisen durch eine hohe Einspeisung Erneuerbarer Energien Lasterhöhungen an und setzen bei hohen Strompreisen und geringer Einspeisung Erneuerbarer Energien Anreize zur Lastreduktion – sofern die lokalen Netzauslastungen dies zulassen bzw. erfordern. Im Gegensatz zur derzeitigen Ausgestaltung des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV vermeiden die Vorschläge langfristig Sprungstellen in der Netzentgeltfunktion und stellen sicher, dass die Netzentgeltkosten mit der Jahresarbeit kontinuierlich zunehmen – auch für Netznutzer mit individuellen Netzentgelten. Sprungstellen und Diskontinuitäten sollten sukzessive abgebaut und künftig weitestgehend vermieden werden, da sie problemati-sche Anreize zu Ineffizienz setzen können und den Unternehmen vermeidbare Risiken aufbürden.
Kernelemente des Weiterentwicklungsvorschlags
- Die nachfolgend vorgestellten Reformvorschläge für § 17 Abs. 2 StromNEV und § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV stellen unter Berücksichtigung der Aufkommensneutralität eine vielversprechende Möglichkeit dar, bestehende Flexibilitätshemmnisse schrittweise abzubauen sowie im zeitlichen Verlauf zunehmende Anreize für markt- und netzdienliche Flexibilitätserbringung zu setzen.
- Kernelemente des Reformvorschlags für § 17 Abs. 2 StromNEV:
– Schrittweise Reduktion der Leistungs- und Erhöhung der Arbeitspreiskomponente bei gleichzeitiger Sicherstellung der Netzkostendeckung über periodenübergreifende Saldierung
– Einführung eines dynamischen Arbeitspreises in Niedrig- und Hochlastfenstern
– Die Zeitfenster werden durch die jeweiligen Netzbetreiber für jede Spannungsebene anhand der lokalen Netzauslastung definiert
– Auftretende Lastspitzen durch die Bereitstellung von Regelenergie und sonstigen System-dienstleistungen werden in Niedriglastfenstern bei der Netzentgeltermittlung ausgeklammert
– Der Reformvorschlag gilt zunächst nur für Unternehmen, die individuelle Netzentgelte gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV beziehen; zukünftig wird eine Ausweitung auf alle Kunden des produzierenden Gewerbes und der Industrie angestrebt - Kernelemente des Reformvorschlags für § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV:
– Wegfall der Benutzungsstunden und Einführung eines Schwellwerts für individuelle Netzentgelte:Anstelle der Benutzungsstundenregelung mit mehreren Sprungstellen, welche bislang selbst netzdienliche Lastspitzen „bestraft“, erfolgt die Definition eines Schwellwerts, ab dem zum Einführungszeitpunkt nur eine einzige Sprungstelle der Netzentgeltfunktion für energieflexible Unternehmen vergleichbare Reduktionen wie heute schafft
Für die über den Schwellwert hinausgehende Jahresarbeit steigen die zu entrichtenden Netzentgelte im Gegensatz zu heute kontinuierlich an
– Markt- und netzdienliches Verhalten als Voraussetzung für den Erhalt individueller Netzentgelte:Netzbetreiber weisen innerhalb eines Monats, Quartals oder Jahres jeweils ein Drittel der Zeit aus, in welcher das Netz (lastseitig) stark, mittel oder niedrig ausgelastet ist (Hochlast-, Standardlast- und Niedriglastfenster)
Energieintensive Unternehmen müssen für den Erhalt von Netzentgeltreduktionen im Vergleich zu ihrer Durchschnittslast in Hochlastfenstern die durchschnittliche aus dem Netz bezogene Last innerhalb eines Monats, Quartals oder Jahres um einen bestimmten Prozentsatz reduzieren und entsprechend in Niedriglastzeiten die durchschnittliche aus dem Netz bezogene Last erhöhen
Die Höhe der Netzentgeltreduktionen bemisst sich in Abhängigkeit der erbrachten Flexibilität und könnte beispielsweise wie heute zwischen 80 % und 90 % betragen
Die Anforderungen an die bereitzustellenden Lasterhöhungen und -reduktionen sind zum Einführungszeitpunkt relativ gering, steigen jedoch über die Jahre hinweg kontinuierlich an
Verlässliche Rahmenbedingungen bieten den heutigen Bandlastkunden eine klare Perspek-tive und schaffen die für Flexibilitätsinvestitionen notwendige Planungssicherheit
- Die Vorteile des präsentierten Weiterentwicklungsvorschlags im Vergleich zur gegenwärtigen Aus-gestaltung der Netzentgeltsystematik werden anhand eines Fallbeispiels aus der Papierindustrie veranschaulicht und diskutiert.
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