Der für die Energiewende wichtige rasche Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland führt angesichts des langsameren Netzausbaus zunehmend zu regionalen Ungleichgewichten bei der Stromerzeugung und -nachfrage. Um die Stabilität des Stromnetzes und somit die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sind gezielte Redispatchmaßnahmen – wie das Abregeln von erneuerbaren Energien im Norden und das Hochfahren von konventionellen Kraftwerken im Süden – notwendig. Allein im Jahr 2023 beliefen sich gemäß Bundesnetzagentur (BNetzA) die damit verbundenen Kosten auf rund 3,1 Mrd. Euro.
Trotz des geplanten Ausbaus des Stromnetzes ist auch in den kommenden Jahren ein steigender Redispatchbedarf zu erwarten. Im Hinblick auf den zukünftigen Umgang mit Netzengpässen werden aktuell unterschiedliche Lösungsansätze diskutiert. Ein Ansatz, der bereits in der Vergangenheit intensiv und kontrovers diskutiert wurde, ist die Einführung lokaler Preissignale durch ein lokal differenziertes Strommarktdesign. Dies könnte theoretisch durch eine Aufteilung der deutsch-luxemburgischen Strompreiszone in mehrere Zonen oder durch die Einführung knotenspezifischer Strompreise realisiert werden. Eine aktuelle, im Rahmen des Kopernikus-Projekts SynErgie durchgeführte Studie zeigt jedoch, dass sich durch verschiedenen Zonenkonfigurationen nur geringe Einsparungen bei den Redispatchkosten erzielen lassen und diese im Zeitablauf auch nicht stabil sind. Daher ist eine Aufteilung der Einheitspreiszone zurecht umstritten. Knotenspezifische Preise würden nach dieser Untersuchung zu deutlich geringeren Redispatch- und Gesamtkosten der Stromerzeugung führen. Studien, die von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission im Rahmen der Reform des Strommarktdesigns durchgeführt wurden, haben jedoch die mit diesem Marktdesign innerhalb der Europäischen Union einhergehenden Herausforderungen aufgezeigt, beispielsweise im Hinblick auf die Übergangskosten und die erforderlichen institutionellen Änderungen. Wenn also diese Alternativen ausscheiden und die Einheitspreiszone in der gegenwärtigen Form immer ineffizienter wird, sollte diese durch lokale Flexibilitätsmärkte ergänzt werden.
Ein lokaler Flexibilitätsmarkt ist ein Marktplatz, der speziell für die Beschaffung von Flexibilität innerhalb eines räumlich abgegrenzten Gebiets konzipiert ist, mit dem Ziel, das Stromangebot und die Stromnachfrage auf lokaler Ebene auszugleichen. Dabei können lokale Flexibilitätsmärkte dazu beitragen, Flexibilitäten gezielt zu steuern bzw. genau dort anzureizen, wo diese zur Behebung von Netzengpässen benötigt werden. Unseres Erachtens bieten lokale Flexibilitätsmärkte deshalb – gerade auch im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen – einen entscheidenden Vorteil: Lokale Flexibilitätsmärkte stellen eine hochinteressante Möglichkeit dar, unter Beibehaltung der Einheitspreiszone die dringend notwendigen lokalen Preissignale zu schaffen. Lokale Flexibilitätsmärkte unterstützen damit auch das kürzlich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgestellte Strommarktpapier, in dem sich das BMWK für den Erhalt der einheitlichen deutsch-luxemburgischen Gebotszone ausspricht, jedoch ebenfalls betont, dass das derzeitige Strommarktdesign um die Dimension Lokalität ergänzt werden muss.
Lokale Flexibilitätsmärkte sind dabei kein neues Konzept: In einigen europäischen Nachbarstaaten, wie z. B. den Niederlanden oder Großbritannien, sind solche Märkte z. T. bereits seit Jahren etabliert. Kora Töpfer, Head of German Public & Regulatory Affairs der EPEX SPOT, sagt dazu: „Das Konzept der lokalen Flexibilitätsmärkte hat sich in Theorie und in der Praxis als solide erwiesen: Redispatchkosten konnten nachweislich reduziert und lastseitige Flexibilität effizient in das Stromsystem integriert werden. Anwendungsbeispiele in den Niederlanden oder Großbritannien zeigen, dass solche Märkte, bei relativ geringem Implementierungsaufwand, es ermöglichen, das Potenzial von lastseitiger Flexibilität signifikant zu heben. Der Energiesektor hat den Auftrag, Batterien, Demand-Side-Response, Power-to-X sowie alle Arten von Flexibilität netzdienlich einzusetzen, um die Energiewende kosteneffizient zu gestalten.“
In Deutschland spielen lokale Flexibilitätsmärkte in den Diskussionen über eine Weiterentwicklung des Strommarktdesigns derzeit jedoch kaum eine Rolle. Dies liegt insbesondere daran, dass das Auftreten von Marktmacht und sog. „Inc-Dec Gaming“, also strategischem Bieterverhalten, zwei grundlegende Herausforderungen darstellen, die es bei der Umsetzung von lokalen Flexibilitätsmärkten zu adressieren und lösen gilt. Wie allerdings die erfolgreich implementierten Beispiele aus den europäischen Nachbarstaaten zeigen, sind auch diese Herausforderungen u. a. durch ein geeignetes Marktdesign sowie gezieltes Monitoring in den Griff zu bekommen. Zahlreiche Maßnahmen können strategisches Bieterverhalten wesentlich einschränken:
- Durch Diversifikation von Flexibilitätsmodellen (Hybridmodelle) werden die Bedingungen des strategischen Bieters beeinflusst.
- Auch die Kombination von kurzfristiger und langfristiger Flexibilitätsbeschaffung am lokalen Flexibilitätsmarkt macht Gaming risikoreicher und damit in der Praxis unwahrscheinlich.
- Der Wettbewerb zwischen Marktteilnehmern begrenzt Profitmöglichkeiten – dies gilt auch für sequenzielle Märkte, zu denen Flexibilitätsmärkte zählen.
- Gaming kann nicht zuletzt auch durch Marktregeln sanktioniert werden. Sogenannte Baseline Verifikationsverfahren ermöglichen es Marktbetreibern wie der EPEX SPOT, die Einhaltung der Marktregeln zu überwachen.
Sobald die Vorteile der zusätzlichen Flexibilität die Nachteile aus möglichem strategischem Verhalten überwiegen, erreichen wir einen Gewinn für den Endverbraucher. Gemeinsam mit der EPEX SPOT spricht sich das Kopernikus-Projekt SynErgie daher dafür aus, lokale Flexibilitätsmärkte zu berücksichtigen und zu evaluieren.
Um aktuelle Vorbehalte gegenüber lokalen Flexibilitätsmärkten zu adressieren und gezielte Maßnahmen für das Monitoring von Marktmacht und Gaming zu entwickeln, zu erproben und transferierbar zu machen, spielt regulatorisches Lernen im Rahmen von Modellregionen und Reallaboren eine zentrale Rolle. Das vom BMWK initiierte Reallabor-Gesetz bietet hierfür die Grundlage, um bspw. in der Energieflexiblen Modellregion Augsburg einen lokalen Flexibilitätsmarkt zu implementieren.
Mit 26 Partnerunternehmen, 11 Forschungseinrichtungen, 16 übertragbaren Demonstratoren und der systematischen Vernetzung aller relevanter Stakeholder wie Politik, Netzbetreiber, Industrie und Gesellschaft bietet die Energieflexible Modellregion Augsburg ideale Voraussetzungen, um dieses regulatorische Lernen mithilfe von Experimentierklauseln zu realisieren. Gleichzeitig weist die Energieflexible Modellregion Augsburg als Region mit hoher fluktuierender Stromerzeugung und hohem industriellen Stromverbrauch eine sehr gute Übertragbarkeit auf andere Regionen in Deutschland auf, welche den industriellen Kern des Landes darstellen und damit für Deutschland und Europa von zentraler Bedeutung sind. Darüber hinaus liegen aus den bisherigen Arbeiten im Rahmen des Kopernikus-Projekts SynErgie bereits umfassende Vorerfahrungen in der Konzeptionierung, prototypischen Realisierung sowie aus einem ersten Testbetrieb eines kontinuierlichen Energieflexibilitätshandels vor.
Die breite Zustimmung für die Einführung und Erprobung eines lokalen Flexibilitätsmarktes in der Modellregion Augsburg wird dabei auch auf Landesebene unterstützt – wie eine kürzlich erschienene Pressemitteilung des bayerischen Digitalministers deutlich macht, in der die Region Bayerisch-Schwaben und die Modellregion Augsburg als Vorbilder für ganz Deutschland bezeichnet werden.
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Ulrich Buhl, der im Rahmen des Kopernikus-Projekts SynErgie den Strang Flexibilitätsvermarktung sowie die Modellregion Augsburg leitet, sagt dazu: „Das Kopernikus-Projekt SynErgie mit der Energieflexiblen Modellregion Augsburg bietet ideale Voraussetzungen, lokale Flexibilitätsmärkte im Rahmen eines Reallabors zu erproben und damit regulatorisches Lernen zu ermöglichen. Die dabei erzielten Ergebnisse können – gerade im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen – wichtige Erkenntnisse für den Strommarkt in ganz Deutschland liefern.“
Abschlussstatement EPEX Spot und Kopernikus-Projekt SynErgie:
- Für einen lokalen Flexibilitätsmarkt in der Modellregion Augsburg stehen alle Beteiligten bereit – Unternehmen, Forschung, Strombörse und Landespolitik. Wir benötigen aber auch den Willen der Bundespolitik (insb. BMWK) und der Regulierungsbehörde (BNetzA), um ein entsprechendes Vorhaben zu realisieren und Erkenntnisse für Gesamtdeutschland gewinnen zu können.
- Im Rahmen einer gemeinsamen Initiative erklären sich die EPEX SPOT und das Kopernikus-Projekt SynErgie bereit, sich intensiv am regulatorischen Lernen im Bereich lokaler Flexibilitätsmärkte zu beteiligen. In der Energieflexiblen Modellregion Augsburg soll dies durch die Zusammenarbeit lokaler Unternehmen, Forschungsinstitute, der Strombörse, lokaler Netzbetreiber und der Landespolitik praxisnah erprobt werden.